Er stolperte häufig vorne rechts, was zu mehrfachen Stürzen führte. Jeder Versuch, das Pferd abzuspecken, scheiterte. Die Folgen waren Bewegungsunlust, unklare Lahmheiten, verklebte und verfilzte Faszien, verhärtete Muskulatur, extreme Fetteinlagerungen und Leistungsschwäche. Sein Organismus war kaum in der Lage seine Entgiftung durchzuführen und sein lymphatisches System konnte seine Funktionen nur bedingt ausführen. Daraus folgten erschwerte Atmung und ein hyper-sensibles Nervensystem, das bei kleinsten Veränderungen zu überschießenden Reaktionen führte, wie z. B. eine Schlund-verstopfung bei einer Fütterung in einem ungewohnten Raum kurz nach der Übernahme. Es folgten vierzehn Monate extremer Bewegungs-einschränkungen. Unsere Tierärztin konnte mir bei seinem Stoffwechselproblem nicht helfen. Ich probierte alles nur Erdenkliche aus, so lange, bis ich die richtigen Zusätze fand. Die Tierärztin half mir ein anderes Mal mit einer Cortison-Injektion bei einer Sehnenscheidenentzündung aufgrund seiner langen Schonhaltung, die ich durchführen ließ, damit er zumindest vorübergehend von seinem Dauerschmerz erlöst wurde. Vorher angewandte Blutegeltherapien brachten leider keinen Erfolg und auf andere Therapien reagierte er kaum.
Der Wallach wurde in den vier Jahren bei seiner Vorbesitzerin wegen einem Überbein tierärztlich u. a. mit Kryotherapie behandelt, er wurde mehrfach geröntgt und untersucht wegen einem Atemgeräusch in der Bewegung im Kehlbereich um ein flattendes Gaumelsegel auszuschließen. Dass er einfach zu fett war, fand dabei keine Berücksichtigung.
Alle Hufe waren beschlagen. Der Beschlag führte zu Zwanghufen, da die Eisen zu eng waren. Durch einen weit zurück geschnittenen Strahl hatte er keinen direkten Bodenkontakt und damit wurde die pedale Lymphpumpe sowie der Rückfluss des venösen Systems zum Herzen eingeschränkt, was zu angelaufenen Beinen führte, obwohl er sich im Paddocktrail jederzeit frei bewegen konnte und auch musste, denn zum Wasser musste er laufen .
Außerdem hat er eine sehr große und tiefe Brandnarbe auf der linken Oberschenkelseite. Diese Narbe entstöre ich bis heute immer wieder. Leider blockiert sie den Energiefluss des Gallenblasen-Meridians. Dadurch kann die Leber, die die Gallenflüssigkeit herstellt, nicht ausreichend funktional arbeiten. Da die Leber auf der rechten Körperseite des Pferdes lokalisiert ist, kam es zur starken Schwächung der rechten Schulter, somit zur Kraftlosigkeit in der rechtsseitigen Tragemuskulatur, die sich auf die gesamte Vorhand auswirkte und damit letztendlich zu einer ausgeprägten Trageerschöpfung führte. Er konnte keine 50 kg tragen!
Täglich beobachtete ich seine Krankheit. Ihn bemerkte ich dabei gar nicht. Ich bekam keinen Kontakt zu ihm, bis ich endlich begriff, dass er sich längst aus unserem Raum verabschiedet hatte. Wir, die Menschen, verstanden ihn einfach nicht. Ich war so ein Mensch. Ich sah nur seine Beeinträchtigung und war darauf fokussiert, ihn unbedingt gesund therapieren zu wollen. Ich war mir sicher, dass dieses Pferd auch für meine persönliche Entwicklung eine Bedeutung hatte. Aber welche?
Die Ohnmacht siegte schließlich und ich beschloss nach ca. 14 Monaten ihn nicht mehr zu beobachten, ihn komplett seinem Schicksal zu überlassen und seine Einschränkungen nicht mehr durch Beobachtung zu fixieren. Das war unser Durchbruch!
Erst als ich seine Situation vollends akzeptierte und ich keinen Anspruch mehr an mich und meine therapeutischen Fähigkeiten stellte, kam er zum Vorschein, tauchte in meine Welt ein und von da an begann er sich selbst zu heilen!
Mein Entwicklungsschritt war, dass ich ihm das Tor zur Heilung öffnete, indem ich das Tor frei machte. Er entwickelte danach einen solchen Lebenswillen und er wollte laufen. In den darauf folgenden Monaten purzelten seine Pfunde. Er verlor seine Speckpolster, die vorher wie hinzementiert waren. Meine Therapien schlugen plötzlich an und heute reite ich ihn regelmäßig zwei Mal wöchentlich. An den anderen Tagen gehen wir spazieren oder wir gymnastizieren seinen immer noch etwas steifen Körper. Er wirkt kraftvoll und zeigt Freude am Leben. Ich reite ihn mit Bosal und überlasse ihm zu entscheiden, wie er seinen Kopf halten will. Er arbeitet selbst an seiner Balance, die mit jedem Tag besser wird. Ich unterstütze ihn dabei, indem ich ihn aus seiner Balance bringe, damit sein Fasziensystem neu zu antworten lernt und er sich selbst um Lösungen kümmern muss. Hufeisen hat er seit zwei Jahren keine mehr. Seine Hufe haben heute eine normale Form. Seine Zwanghufe sind Geschichte und er hat gelernt im Trail ohne Hufschutz zu laufen. Im Gelände mit steinigen Böden trägt er vorne Hufschuhe.
Er hat seinen Namen bekommen, den, den er mir mitgeteilt hat, und somit auch eine bzw. seine echte, wahre Identität. Wir genießen unser Zusammensein und beachten während dessen die Zeit nicht mehr.
Unsere Reise gespickt mit neuen Erfahrungen ist noch lange nicht zu Ende. Seine Genesung schreitet voran und befindet sich in einem laufenden Prozess. Ich bin dankbar für die vielen Denkanstöße und Ideen meiner Kolleginnen. Aber wichtig war, dass ich begriffen habe, dass wir uns nur selber helfen konnten.
Ich lege mein Leben in Deine Hände!
Gehe behutsam damit um!
Mir ist bewusst, dass dieses Beispiel nicht auf alle kranken Pferde zutrifft und jeder Patient seine ganz eigene Geschichte hat. Dennoch kann jeder Unmögliches möglich machen, wenn die Liebe und der Glaube daran stark genug ist, im richtigen Moment loszulassen! Dann kann Heilung in einer anderen Ebene stattfinden.